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Von der Wirklichkeit eingeholt

Hans Zaremba über ein Jahr Corona-Pandemie

Als vor einem Jahr der erste Lockdown in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland ausgerufen wurde, hatte kaum jemand eine Vorstellung davon, welche Nachwehen dieser Stillstand für das öffentliche Leben und die Gesellschaft bewirken würde. Von den Folgen der Corona-Krise für den Arbeitsmarkt, die Wirtschaft und öffentlichen Haushalte ganz zu schweigen. Nicht wenige Zeitgenossen waren im vergangenen Sommer dem Trugschluss erlegen, nach dem damaligen spürbaren Rückgang der Inzidenz-Werte die größten Probleme der Pandemie überwunden zu haben.

Karl Lauterbach wird von vielen Beobachtern in der Corona-Krise als ein besserer Gesundheitsminister gesehen: Eine Meinung, die auch der Vorsitzende des städtischen Jugendhilfe- und Sozialausschusses, Hans Zaremba (auf der Aufnahme links im Bild), teilt. Archiv-Foto: Karl-Heinz Tiemann

Empfehlungen am Fließband

Doch schon im Herbst wurde die Öffentlichkeit mit der erneuten Schließung der meisten Geschäfte und gastronomischen Betriebe von der Wirklichkeit wieder eingeholt. Bei den häufig wechselnden Prognosen, widersprüchlichen und unzuverlässligen Ankündigungen aus der Politik verkörperte ein Mann eine fortwährende Kontinuität: Professor Dr. Dr. Karl Lauterbach. Wie kaum eine zweite Person war der SPD-Bundestagsabgeordnete im Fernsehen und in den Printmedien zugegen. Viele Menschen werden von seinen ständigen Warnungen genervt sein. Zu wenig beachtet wird dabei aber, dass der Professor der Epidemiologie eine Fülle von förderlichen Empfehlungen am Fließband produziert. Nicht von ungefähr hat ihn der „Spiegel“-Autor Markus Feldenkirchen vor wenigen Tagen als einen Mann charakterisiert, mit dem Deutschland als Gesundheitsminister wahrscheinlich besser durch die schwerste Belastung nach 1945 gekommen wäre. Eine Einschätzung, die man angesichts der schleppenden Impfungen und Tests ganz und gar beipflichten kann. Dazu einige Beispiele: Bereits Anfang Mai 2020 sagte der Mann aus dem Rheinland in einem Interview über die Impfstoffproduktion: „Wenn ich erst abwarte, welcher Impfstoff den Erfolg bringt, und dann erst anfange, die Produktion vorzubereiten, dauert die Vorbereitung der Produktion möglicherweise so lange wie die Entwicklung des Impfstoffs.“ Die nicht richtig anlaufenden Impfungen der verschiedenen Gruppen nach den vollmundigen Ankündigungen des aktuellen Gesundheitsministers Jens Spahn (CDU) sind für diese Lauterbach-These ein Beleg. Ebenso war es der 58-jährige, der sich früh für die staatliche Beschaffung von Luftfiltergeräten einsetzte. Ein Ansinnen, dass auch in Lippstadt vom Vorsitzenden der SPD-Fraktion im Stadtrat, Thomas Morfeld, propagiert wurde.

Öffnungen und Tests

Zudem präsentierte Karl Lauterbach vor der letzten Konferenz der Ministerpräsidenten im Kanzleramt am 3. März den Vorschlag, Öffnungsschritte mit systematischen Testungen in den Schulen und in den Betrieben zu verbinden. Wegen nicht ausreichender Selbsttests kam dieser Plan jedoch nicht zum Tragen. Mit seinem Urteil über die Beschlüsse von Anfang März, dass mit ihnen die dritte Welle anlaufe und spätestens im April bei einer Inzidenz von über 100 das Intermezzo der Öffnungen wieder beendet sei, liegt der Mediziner, dessen Markenzeichen lange die Fliege war, offenbar auch richtig. Seine Vermutung, dass Ostern 2021 wie das Weihnachten 2020 werde, wurde jetzt vom Chef des Robert Koch-Instituts (RKI), Professor Dr. Lothar Wieler, mit „Wir haben ganz klare Anzeichen dafür: In Deutschland hat die dritte Welle schon begonnen“ bestätigt. Viele seiner Botschaften verkündet Karl Lauterbach über Twitter. Ein Medium, dass zu ihm passt: Kurze klare Angaben, die zwangsläufig auch Widerspruch auslösen. Die von ihm mit Ausdauer fortwährend verbreiteten neuen Feststellungen haben wahrscheinlich mehr zum Pandemieverständnis beigetragen als alle Verlautbarungen der Regierungen der Länder und des Bundes – einschließlich der vorschnellen Statements von Jens Spahn – zusammen. Aber Anfeindungen und Angriffe auf Karl Lauterbach und andere Personen sind Vorgänge, die völlig inakzeptabel und mit aller Strenge von der Justiz zu ahnden sind. Doch der SPD-Politiker und Wissenschaftler mit der zeitweise anstrengenden Stimme lässt sich davon nicht einschüchtern. Das ist auch gut so.

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