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Als Lippstadt den Kreissitz verlor

Hans Zaremba über die Gebietsreform in 1975

Von 1965 bis 1978 fanden in allen Flächenländern der damaligen westdeutschen Bundesrepublik räumliche Neuordnungsmaßnahmen statt. In Nordrhein-Westfalen wurde die kommunale Gebietsreform in zwei großen Schritten durchgeführt. Für die Region an Glenne und Lippe war das am Neujahrstag 1975 in Kraft getretene Münster/Hamm-Gesetz maßgeblich, mit dem Lippstadt vor nunmehr 45 Jahren den seit 1817 in seinen Gemäuern bestehenden Sitz der Kreisverwaltung verlor. An diese Begebenheiten wurde jetzt in Wadersloh erinnert, als dort ein Rückblick auf die Ereignisse rund um die Abschaffung der Ämterverfassung und die Auflösung des seit 1931 bestehenden Amtes Liesborn-Wadersloh in der Mitte der 1970er Jahre erfolgte.

Großgemeinde Wadersloh

Durch diese Veränderungen wurde Parallel das bis Silvester 1974 zur Gemeinde Liesborn gehörende Heilbad Bad Waldliesborn – in dem es schon Ende der 1950er Jahre Tendenzen auf eine Abspaltung von Liesborn mit dem Ziel einer eigenständigen Gemeinde gab – in das Lippstädter Stadtgebiet eingegliedert. Vor der Neustrukturierung von Lippstadt und seiner benachbarten Kommunen waren weiterhin eine Reihe anderer Überlegungen zur Neugestaltung des heimischen Raumes zu verzeichnen, wie sie auch von der Soester Kreisarchivarin Beatrix Pusch in ihrem in 2003 veröffentlichten Buch „Die kommunale Neugliederung im Kreis Soest“ geschildert werden. So hatte der Oberkreisdirektor des Kreises Beckum, Winfried Schulte, in 1971 vorgeschlagen, aus den damaligen eigenständigen Gemeinden Diestedde, Liesborn und Wadersloh, die bereits mit dem Amt Liesborn-Wadersloh einen einheitlichen Versorgungsbereich hatten, die Großgemeinde Wadersloh zu bilden. Damit waren alle drei Gemeinden einverstanden. Dies überraschte durchaus einige Zeitgenossen angesichts mancher vormaliger Fehden, wie die massiven Versuche der Liesborner Kommunalpolitik in den 1950er Jahren, sich vom ungeliebten Partner in Wadersloh zu lösen. Lippstadt hingegen forderte nur die Eingemeindung von Bad Waldliesborn in ihr künftiges Gebilde, was bekanntlich zum 1. Januar 1975 Wirklichkeit wurde. Ohnehin hatte die langjährig bewährte Konstruktion des Amtes Liesborn-Wadersloh mit ihrem Sitz in Wadersloh schon am 1. Juli 1969 mit der Herausnahme von Herzfeld und seine Zuordnung als Ortsteil der neuen Gemeinde Lippetal und am 1. Januar 1970 mit dem Beitritt von Benteler in die Gemeinde Langenberg vor ihren Übergang in die neue Großgemeinde Wadersloh heftig Federn lassen müssen. Ursprünglich sollte auch Benteler mit Diestedde, Liesborn und Wadersloh die am Reißbrett in Düsseldorf entworfene neue Großgemeinde bilden. Sie hätte etwa 15.000 Einwohner gehabt. Die jetzige Gemeinde Wadersloh zählt rund 12.600 Köpfe.

Erinnerungstafel an der Abtei in Liesborn: Das einstige Damenstift hat eine bewegte Geschichte. Mit Blick auf die Mitte der 1970er Jahre anstehende Auflösung des Amtes Liesborn-Wadersloh war es damals der Wunsch vieler Liesborner, in diesem Komplex – der heute das Museum für Kunst und Kulturgeschichte des Kreises Warendorf beheimatet – Teile der Verwaltung der zum 1. Januar 1975 gebildeten Großgemeinde Wadersloh zu integrieren.

Großkreis Lippstadt

Zugleich wurde zum Beginn der 1970er Jahre die politische Debatte davon bestimmt, die künftige Großgemeinde Wadersloh in den in seiner Entstehung befindlichen neuen Kreis Lippstadt/Soest einzufügen. Beatrix Pusch bemerkt dazu in ihrer Publikation: „Die Köstering-Kommission vertrat die Auffassung, diese ganze neue Gemeinde sei in den Kreis Soest-Lippstadt einzugliedern, weil mittelzentrale Einzugsbereiche so weit wie möglich in Kreisen zusammengefasst werden sollten und der Einfluss des Mittelzentrums Lippstadt auf diese Gemeinde sehr viel stärker sei als der Einfluss des Mittelzentrums Beckum“. Eine Sachlage, die auch heute – 45 Jahre nach der Gebietsreform – noch augenscheinlich ist. Aus dem Lippstädter Blickwinkel war während der Neuordnungs-Diskussion die Ansicht des nach dem Vorsitzenden Ministerialrat Heinz Köstering benannten Gremiums ein willkommener Standpunkt, da damit Lippstadt auch im Nordwesten von Nachbarn aus dem eigenen Kreisgebiet umgeben gewesen wäre. Bereits im Juni 1972 berichtete die Beckumer Lokalausgabe der in Münster verlegten Tageszeitung „Westfälische Nachrichten“ über die Absicht des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen, wie sich nach dessen Vorstellung die kommunale Gliederung im südöstlichen Kreisgebiet Beckum und dem Raum Lippstadt entwickeln sollte. Im zitierten Blatt wird dazu ausgeführt: „Danach wird – so darf man aus den Äußerungen schließen – das Innenministerium dem Kabinett und dieses wiederum dem Landtag vorschlagen, den Ortsteil Bad Waldliesborn der Stadt Lippstadt einzugliedern und die verbleibenden Gemeinden des Amtes Liesborn-Wadersloh, also Diestedde, Liesborn (Rest) und Wadersloh, zu einer Großgemeinde zusammenzuschließen und dem zukünftigen Kreis Soest-Lippstadt zuzuteilen.“ Der folgende Gesetzentwurf der Landesregierung sah gleichfalls eine Eingliederung des nun als Gemeinde Wadersloh bezeichneten Raumes zum künftigen Großkreis Lippstadt-Soest vor, stellte als Alternative zu diesem Hauptvorschlag aber auch eine Zuordnung dieser Gemeinde zum gleichzeitig im Aufbau befindlichen Großkreis Beckum-Warendorf vor. Für die Stadt an der Lippe waren die Überlegungen der Köstering-Gruppe gewiss ein Vorteil im Wettbewerb mit Soest, welche der bisherigen Kreisstädte der vor ihrer Fusion stehenden Altkreise Soest und Lippstadt künftig den Kreissitz bekommen sollte. Überdies hatten sich die Lippstädter durch den Bau des 1969 an der Lipperoder Straße seiner Bestimmung übergebenen neuen Kreishauses – das heute Dienststellen des Landesamtes für Natur und Verbraucherschutz und der Justiz beherbergt – darauf bereits eingerichtet. Zweifellos gewährte dieses Kreishaus, was die im Mai 1973 vom Institut für Landeskunde in Bad Godesberg zum Vergleich von Soest und Lippstadt als Sitz des künftigen Großkreises Lippstadt-Soest vorgelegte Untersuchung bekräftigte, „eine funktionsgerechtere Abwicklung der Dienstgeschäfte, bei guten Entwicklungsmöglichkeiten“. Übrigens: Ein Gebäude, das sich auch als Stadthaus für Lippstadt geeignet hätte. Doch darauf zugreifen wollte in den 1980er Jahren die örtliche Politik nicht, als diese Möglichkeit nach dem Verlust des Kreissitzes bestand.

Wegweiser am Behördenhaus in Lippstadt: Dieses Gebäude an der Lipperoder Straße wurde in den 1960er Jahren als Kreishaus für die Zeit nach der kommunalen Neuordnung für den Kreis Lippstadt-Soest errichtet. Heute sind in ihm das Amtsgericht Lippstadt sowie des Landesamt für Natur und Verbraucherschutz als Dienststelle der Bezirksregierung Arnsberg untergebracht. Als mögliches Lippstädter Stadthaus wurde es in 1980er Jahren verschmäht.
Fotos (2): Hans Zaremba

Schlag aus Düsseldorf

Von Beatrix Pusch wird zur endgültigen Kreisangehörigkeit der Großgemeinde Wadersloh in ihrer Veröffentlichung nach damaligen Äußerungen aus dem Ausschuss für Verwaltungsreform ausgeführt: „Während die SPD-Fraktion die Regierungsvorlage unterstützt (Zuordnung von Wadersloh zum neuen Kreis Soest), möchte die CDU-Fraktion die Gemeinde Wadersloh dem Kreis Warendorf zuordnen.“ Die zweite Lesung des Münster/Hamm-Gesetzes bestätigte schließlich die Eingliederung von Wadersloh in den aus den Altkreisen Beckum und Warendorf geschaffenen Großkreis Warendorf. Damit blieb Lippstadt weiterhin ohne größeres Umland und eine Grenzkommune in unmittelbarer Nähe zu den Kreisen Gütersloh, Paderborn und Warendorf. Für die Stadt Lippstadt eine herbe Enttäuschung und ein offenkundiger Nachteil zum Soester Konkurrenten, der sich im teilweise leidenschaftlich geführten Disput bei der Vergabe des Verwaltungssitzes des neuen Großkreises durchsetzen konnte. Der 1982 verstorbene Lippstädter Heimatchronist Dr. Anton Hans Meyer benennt in seiner Retrospektive auf 1973 in der 1989 herausgegebenen Chronik „Unsere Lippe-Stadt 1964-1988“ die sich zum Ende des Jahres 1973 abzeichnende Entscheidung der Landespolitik zugunsten des Kreissitzes für Soest zutreffend als einen „(Vor-) Schlag aus Düsseldorf“. Die Folge waren der Verlust von rund 400 Arbeitsplätze und mit den Jahren die Abwanderung etlicher anderer Institutionen aus Lippstadt – wie die Kreisstelle der Landwirtschaftskammer mit ihrer angegliederten Landwirtschaftsschule, die Kreishandwerkerschaft und die Geschäftsstellen der Gewerkschaften (ÖTV, heute ver.di, IG Metall und DGB) -. Wenn es nach den Plänen einiger Protagonisten im heutigen Soester Kreishaus gegangen wäre, dann hätte Lippstadt mit der in der Kreisstadt geplanten Reduzierung des Serviceangebotes der Zulassungsstelle für Kraftfahrzeuge in diesen Wochen erneut eine öffentliche Dienstleistung verloren. Doch dies wurde durch die Aufmerksamkeit der Lippstädter Politik noch soeben unterbunden.

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